Wie die Straßenhunde mein Leben veränderten


Vielleicht kennst Du das Gefühl? Du hast einen Job, mit dem Du soweit auch ganz zufrieden bist, und verdienst ausreichend Geld, um gut über die Runden zu kommen, hast eine Familie und Kinder, ein Haus, Autos und einen Rassehund vom Züchter - und doch hast Du das Gefühl, als würde da etwas fehlen... Du kannst es Dir sogar leisten, mehrmals im Jahr in den Urlaub zu fahren, wenn Du das denn möchtest - und doch bist Du nicht erfüllt von Deinem Leben.  

 

Vor ca. 10 Jahren war ich noch selbstständig, aber trotz meines guten Einkommens spürte ich eine innere Unruhe in mir. Ich war ständig auf der Suche nach irgendwas - aber was genau mir fehlte, dessen war ich mir nicht bewusst... Ich stürzte mich in verschiedene Aktivitäten, wie Joggen, Fitness, Tai Chi und Wing Tsun, die mich alle kurzweilig ablenkten... aber nichts füllte mich aus und diese verdammte Unruhe blieb...

 

Seitdem ich mit Mona in Bulgarien lebe, weiß ich endlich, was mir all die Jahre gefehlt hat. Diese Erkenntnis ereilte mich natürlich nicht über Nacht - obwohl es, zumindest für mich, eigentlich ganz offensichtlich hätte sein sollen, denn ich stand tagtäglich in Kontakt mit dem, was mir gefehlt hatte.

 

Heute kann ich sagen: Der tägliche Kontakt mit den Straßenhunden hat mein Leben, und mich, verändert! Es hat lange gedauert, aber ich habe endlich erkannt, dass das, was mir gefehlt hat, die Möglichkeit war: "Jemandem etwas zu geben, sich um Jemanden zu kümmern, der sich nicht um sich selbst kümmern konnte, Jemandem zu helfen, der allein auf der Welt da stand!" 

 

Das Problem bei uns Menschen ist, dass wir, wenn wir uns bewusst oder unbewusst gegen etwas sträuben, und dann aber gerade dadurch etwas erreichen - dann erkennen wir es nicht immer sofort. Zumindest ist es bei mir ganz genauso gewesen. Ich verspürte diese innere Unruhe schon lange Zeit nicht mehr in mir, diese ständige Suche nach irgendetwas war vorbei und diese ewige Unzufriedenheit war verschwunden! Und ich war mir nicht einmal bewusst, woran das nun eigentlich lag...

 

Ganz im Gegenteil: Ich hatte mich jahrelang sogar mit Händen und Füßen dagegen gewehrt! Heute bin ich natürlich dankbar dafür, dass mein sich Sträuben keinen Erfolg hatte, denn nach so vielen Jahren weiß ich endlich, was mir diese innere Ruhe und Zufriedenheit schenkt, nach der ich mich so lange gesehnt habe. 

 

Mein Leben hat sich komplett geändert: Wir haben vier Straßenhunde und vier Katzen von der Straße, wir fahren niemals in den Urlaub und wenn wir ins alte Auto steigen, dann wahrscheinlich nur, um Straßentiere zu füttern, zum Tierarzt oder zum Einkaufen zu fahren. Um dennoch eine Zeit mit unseren Tieren verbringen zu können, arbeiten wir inzwischen von Zuhause aus. 

 

Ich möchte nicht falsch verstanden werden; es geht nicht darum, dass Du alles ganz genauso machen sollst. Es ist auch keine Werbung für meine, für viele mit Sicherheit, "exzentrische" Art zu leben. Was ich sagen möchte, ist einfach nur: Dass jeder versuchen sollte, das Leben zu leben, das er erreichen möchte! Es wurden schon unzählige Bücher darüber geschrieben und das Internet ist voll mit Tipps, wie man am besten sein Leben gestalten sollte oder was letztendlich den Sinn des Lebens ausmacht. Meiner Meinung nach besteht das große Geheimnis des Lebens darin, dass, so verschieden wir Menschen sind, so unterschiedlich sind auch unsere Wege. Den eigenen Sinn unseres Lebens zu finden, ist eine der schwierigsten Aufgaben - aber es lohnt sich!!!

 

Für mich begann alles mit unserem ersten Straßenhund, mit Aurelius. Über mehrere Tage hinweg hatten wir den kleinen Kerl auf der Straße gesehen. Mal war er da - mal war er nicht da. Wenn er da war, saß er verloren am Straßenrand und war irgendwie "eins mit dem Herbstlaub" geworden. Mir schien es gerade so, als ob er sich unsichtbar machen wollte. Mona hatte ihn natürlich trotzdem entdeckt und begonnen, ihn zu füttern. War er in den ersten Tagen noch vor ihr davon gelaufen, so hielt er inzwischen nur noch einen Sicherheitsabstand ein. Aber er ließ sich nicht anfassen - daran war nicht im Traum zu denken!

 

Mona machte sich den ganzen Tag lang Gedanken über den kleinen Kerl, ob er überhaupt überleben würde, denn der Winter nahte und die Nächte waren bitterkalt. Außerdem sahen wir ihn immer an der Straße - ob ihn nicht eines Tages ein Auto überfahren würde... Sie hatte kein anderes Gesprächsthema mehr und ich antwortete nur noch genervt, wenn sie wieder davon anfing: "Das wird schon, er kann doch auf sich selbst aufpassen! Hat er doch bis jetzt auch!" 

 

Aber sie gab einfach nicht auf. Am Anfang waren es nur Andeutungen, aber je mehr Zeit ins Land ging, umso konkreter sprach sie aus, was sie geplant hatte: "Aurelius von der Straße zu nehmen und ihm ein Zuhause zu geben!" Ich bin nicht besonders stolz darauf, aber ich war entsetzt! Dieser kleine Kerl war so schrecklich dreckig, in seinem verzottelten Fell hingen Kletten und Erdklumpen - oder Schlimmeres, denn er stank wie der sprichwörtliche Puma! Mein Traum war es, einem reinrassigen Riesenschnauzer vom Züchter ein Zuhause zu schenken, denn in Deutschland war ein solches Exemplar mein jahrelanger Begleiter gewesen! Und nun drohte mein Traum zu platzen!!!

 

Aber Mona hörte nicht auf und irgendwann gab ich, wenn auch widerwillig, nach. Natürlich schmiedete ich meine eigenen Pläne und fand Gefallen an meiner Option, dass wir den kleinen Kerl baldmöglichst vermitteln würden. Dies war allerdings keine Option für Mona... Rückblickend muss ich eingestehen, dass es sehr lange gedauert hat, bis ich Aurelius akzeptiert habe. Selbst als er schon lange bei uns Zuhause war und Mona ihn gebadet hatte, also als er nicht einmal mehr stank und er mich schwanzwedelnd begrüßte, lehnte ich ihn ab, denn er war schließlich der Grund, warum ich "meinen Riesenschnauzer" noch nicht hatte...

 

Mona beobachtete mich und mein Verhalten Aurelius gegenüber ganz genau und warf es mir eines Tages gerechtfertigterweise vor. Sie hatte in allen Punkten der Anklage Recht und auf einmal begann ich, Aurelius mit anderen Augen zu sehen. Als ich mich dem kleinen Burschen erst einmal geöffnet hatte, eroberte er mich mit seiner ganz eigenen Art und Weise im Sturm!

 

Aurelius und Mona verbindet ein ganz besonderes Band - das war von Anfang an so. Mona hat Aurelius auf der Straße entdeckt und wusste sofort: "Wir gehören zusammen!" Und Aurelius scheint das genauso zu sehen, die erste Zeit durfte Mona keinen Schritt ohne Aurelius machen, er war immer an ihrer Seite und ließ sie nicht aus den Augen. Ohne sie ging er nicht einmal in den Garten, weshalb ich ihm den Spitznamen "Bodyguard" gab. Natürlich wissen wir, dass es sich um Verlustängste gehandelt hat, aber die hat Aurelius inzwischen abgelegt.

 

Nur manchmal, wenn Mona nicht da ist und ich allein mit unseren Hunden spazieren gehen möchte, dann bleibt Aurelius lieber zu Haus und wartet, ob Mona nicht in der Zwischenzeit nach Hause kommen könnte. Ich kenne allerdings Aurelius´ Lieblingsleckerlies; es kostet mich immer sehr viele davon, aber ab und zu gelingt es mir, den Kleinen damit zu "bestechen" und ihn doch auf meinem Spaziergang mitzunehmen... Wir arbeiten dran ;) 

 

Danach ging alles ziemlich schnell: Auf Aurelius folgte Joy, von der man durchaus behaupten kann, dass sie mehr ein "Papakind", als ein "Mamakind", ist. Und so gleicht sich alles wieder aus ;) . Joy wurde uns höchstpersönlich von ihrer Mutter zu uns gebracht, eine durch und durch verrückte Geschichte! Dann kam Ginger zu uns, die man allein an einer "Villa", wie die Bulgaren ihre Sommerhäuschen nennen, zurückgelassen hatte; natürlich ohne Futter und ohne Wasser; eine weitere unglaubliche Geschichte. Mit jedem weiteren Hund schmolz mein Widerstand, obwohl ich eigentlich immer noch gegen jeden einzelnen Hund gekämpft hatte - bis wir Lea trafen.

 

Eines Tages waren wir in einem bulgarischen Tierheim und dort fanden wir in einem Zwinger Lea vor. Mona zog mich zu dem Zwinger, deutete auf den dünnen Hund und bevor sie noch etwas fragen konnte, sagte ich: "Ja, klar, der Kleinen schenken wir ein Zuhause!" Wahrscheinlich zum allerersten Mal erlebte ich Mona - sprachlos!

 

Heute haben wir zu den vier Straßenhunden auch noch vier Straßenkatzen, aber dies sind wieder ganz andere Geschichten. Durch Aurelius, und all unsere anderen Tiere, habe ich gelernt, Tiere als Persönlichkeiten wahrzunehmen und zu verstehen. Ich bereue nicht eine einzige Sekunde, die ich mit diesen wundervollen Geschöpfen verbracht habe. Ganz im Gegenteil: Ich bin stolz auf unsere große und kunterbunte Familie! Ich  schruppe mir nicht mehr, wie ganz zu Anfang, meine Hände, wenn ich eines unserer Tiere gestreichelt habe. Ich ärgere mich nicht mehr, wenn mal wieder mein Platz auf dem Sofa durch eines unserer Tiere belegt wurde oder es sogar gar keinen Platz mehr für mich gibt, weder auf dem einen Sofa, noch auf dem anderen! Es stört mich nicht einmal mehr, wenn ich in einer untypischen Pose schlafen muss, weil unser Huskymix und zwei Katzen beschlossen haben, die Nacht mit uns in unserem Bett zu verbringen! 

 

Heute habe ich eigentlich nur noch einen Wunsch: Den Menschen zu vermitteln, was für wundervolle Wesen diese Straßentiere doch sind! Menschen, die vielleicht sogar mit dem Gedanken spielen, selbst einen ehemaligen Streuner ein wundervolles Zuhause zu schenken, ein bisschen von dem Gefühl zu vermitteln, dass ich jeden Tag empfinde: Dankbarkeit! Von ganzem Herzen kann ich sagen: "Trau Dich! Wage den Schritt! Ich bin sicher, Du wirst es genauso wenig bereuen, wie ich!" 

 

Aus diesem Grund haben wir es uns als "Best Friends Foundation" auch zur Aufgabe gemacht, den Straßenhunden in Bulgarien zu helfen und ihnen ein passendes Zuhause zu suchen. Unser Partnerverein, der "Förderverein der Best Friends Foundation" wurde in Berlin gegründet, um Dir unter anderem vor Ort in Deutschland mit Rat und Tat zur Seite zu stehen.