Drei große Mythen über Straßenhunde


Es ranken sich viele Mythen über Straßenhunde und ihr Leben auf der Straße. Sind sie wirklich so bösartig, wie man im Internet und/oder in reißerischen Artikeln in Zeitschriften oder im Fernsehen immer wieder mal hört? Sind sie nicht alle komplett von Parasiten befallen und übertragen die schlimmsten Krankheiten? Macht es überhaupt Sinn, einem solchen Streuner, der sein Leben bisher in Freiheit verbrachte, auf einmal in eine beengende Wohnung zu sperren und ihn damit - vermeintlich - zu retten??? Wir versuchen, Antworten auf diese Fragen zu finden und unsere Antworten basieren natürlich immer auf unseren eigenen Erfahrungen, die wir gemacht haben!  

 

Mythos Nummer 1: Die Straßenhunde sind gestört und nicht erziehbar

 

Mythos Nummer 2: Die Straßenhunde sind krank, voller Parasiten und ich werde mich selbst und meine Familie anstecken

 

Mythos Nummer 3: Die Straßenhunde sind aggressiv und beißen

 

Auch aus Deutschland werden immer wieder Stimmen laut, dass die Menschen es zutiefst bereuen, dass sie einem ehemaligen Streuner aus dem Ausland bei sich Zuhause aufgenommen haben. Und ohne Frage: Diese Problematik gibt es tatsächlich, aber sie basiert auf vereinzelten Fällen und wäre, bei richtiger Aufklärung, wahrscheinlich vermeidbar gewesen. Diese Thematik besteht seit vielen Jahren und ist immer wieder aktuell, obwohl es in Deutschland keine Straßenhunde gibt. Die Tierliebe der Deutschen ist in allen Ländern mit Straßenhunden bekannt - und Statistiken zufolge nehmen die Deutschen jährlich ca. 100.000 dieser Straßenhunde bei sich auf. 

 

Was die Straßenhunde betrifft, gibt es viele Missverständnisse und wir als Deutsche vor Ort in einem Land, in dem Streuner zum ganz normalen Alltagsbild gehören, möchten gern an dieser Stelle von unseren eigenen Erfahrungen berichten. Auch wir, die Best Friends Foundation, lassen Straßenhunde nach Deutschland ausreisen, zu ihren Familien, die sie sehnsüchtig erwarten und in denen sie wie Familienmitglieder behandelt werden.

 

Um ein Problem zu lösen, ist es immer gut zu wissen, wie es eigentlich entstanden ist. Mehr darüber könnt Ihr in unserem Blog " Bulgarische Straßenhunde: Wie alles begann..." erfahren. Hier geht es jetzt darum, Euch den Charakter und die Eigenschaften eines Straßenhundes zu beschreiben, denn es ist sehr wichtig, bevor man sich für einen Streuner entscheidet, zu wissen, "was man sich da eigentlich ins Haus holt!" Aber ist das überhaupt möglich? Gleich ein Straßenhund dem anderen? Diese Frage ist ganz klar mit "Nein" zu beantworten. Jeder Straßenhund hat seine eigene Vorgeschichte, die genauso individuell sein kann, wie bei uns Menschen. Und um es noch etwas schwieriger zu machen: "Meistens kennt niemand diese Vorgeschichte!" 

 

Aufgrund unserer Beobachtungen und Erfahrungen mit Straßenhunden teilen wir die bulgarischen Straßenhunde in drei unterschiedliche Kategorien ein:

 

Gruppe 1: Hunde, die seit Jahren, manchmal seit Generationen, auf der Straße leben, wenn sie denn so alt werden, und/oder auf der Straße geboren wurden. Sie leben überwiegend in ländlichen Gegenden oder am Rande eines Ortes, in Rudeln und leben ein Leben, vergleichbar mit den Wölfen. Sie lieben ihre Freiheit und meiden den Menschen. Sie versorgen sich selbstständig mit Kaninchen und Vögeln. Meistens in der Nacht, wenn sie keine Menschen mehr antreffen, plündern sie die Mülltonnen nach Essbarem. Sie graben sich Erdlöcher, um darin zu schlafen oder zu überwintern. Da wir am Rande einer Ortschaft leben, ist uns genau eine solche Hundefamilie vor Jahren bekannt gewesen. Sie regelten alles unter sich und hatten ihre eigene Rangordnung. Füttern konnten wir sie nur aus der Ferne. Unserer Erfahrung nach wäre es ein absoluter Wahnsinn, einem Hund aus der ersten Kategorie ein Leben aufzuzwingen, in dem weder er, noch seine Adoptanten, glücklich werden könnten. Auch wenn eine gute Absicht hinter diesem Gedanken steht, kann daraus genau das Gegenteil entstehen - mit fatalen Folgen. Wir müssen einfach akzeptieren, dass die Hunde aus dieser ersten Gruppe, uneingeschränkt in  Freiheit leben wollen - egal, wie lang oder kurz dieses Leben währt. 

 

Gruppe 2: Dies sind Hunde, die direkt in den Städten oder Dörfern leben und die ausgesetzt wurden, entlaufen sind oder bereits auf der Straße geboren wurden. Sie bewegen sich meistens in kleinen Gruppen oder einzeln in ihren Revieren und haben sich mit dem Straßenleben arrangiert. Diese Hunde sind zutraulich, lassen sich von den Bewohnern füttern und meistens auch streicheln, denn sie verknüpfen durchaus positive Erlebnisse mit dem Menschen. Sie respektieren untereinander ihre Reviere und sind sozial, sowohl zu anderen Hunden, als auch zu den Menschen. Oftmals findet man sie vor Supermärkten, Restaurants oder Wohngebieten, wo sie regelmässig gefüttert werden. Viele von diesen Hunden sind auch schon durch Kastrationsprogramme kastriert worden.

 

Gruppe 3: Bei diesen Hunden handelt es sich überwiegend um ausgesetzte Hunde, die schon mal ein Zuhause hatten oder ihr Leben an einer Kette fristen mussten. Die Bulgaren, die im Winter oftmals im Zentrum einer Stadt leben, ziehen meist im Sommer in ihre "Villen", wie sie ihre einfachen Sommerhäuschen nennen. Im Sommer nehmen sie dann also einen Hund im Welpenalter bei sich auf und lassen ihre "Villa" durch eben diesen "schützen". Viele Bulgaren haben noch immer Angst vor Hunden - egal, wie klein oder jung sie sind. Im Spätherbst dann aber, wenn sie wieder zurück ins Zentrum ziehen, lassen sie den Hund, meist ohne Reue und Mitgefühl, einfach in ihrem Garten zurück. Wenn er Glück hat, bleibt er nicht angekettet... Oder er wird einfach auf die Straße gesetzt; dies passiert natürlich auch aus anderen Gründen, zB. wenn man des Hundes einfach überdrüssig wurde oder er eine Erkrankung hat, dessen Behandlungskosten man nicht bezahlen möchte oder kann.

 

Die Hunde aus dieser Kategorie kommen mit dem Straßenleben überhaupt nicht zurecht. Diese Hunde sind auf uns angewiesen und brauchen unsere Hilfe. In begründeten Einzelfällen kommt es auch mal vor, dass es ein Tier aus der Gruppe 2 sein kann. 

 

Greifen wir noch einmal Mythos 1 auf: Die Straßenhunde sind gestört und nicht erziehbar. Ja, es gibt diese vereinzelten Fälle, die durch menschliche Unwissenheit, oder leider auch ganz bewusst, dem Hund einen Schaden zu gefügt haben. Deshalb ist es auch ganz besonders wichtig, dass es eine ehrliche Zusammenarbeit zwischen den deutschen Tierschutzorganisationen und den Tierschutzorganisationen vor Ort gibt, egal ob in Bulgarien, Rumänien, Spanien oder sonst wo, die gezielt an der Auswahl der Hunde arbeiten, die nach Deutschland vermittelbar sind - oder welchen Hunden lieber vor Ort geholfen werden soll. 

 

Mythos 2: Die Straßenhunde sind krank, voller Parasiten und ich werde mich selbst und meine Familie anstecken. Inzwischen gibt es Tierschutzorganisationen, die sich um Kastrationen, Impfungen und Behandlungen gegen Parasiten kümmern, natürlich nicht in dem Ausmaß, wie es benötigt wird, denn wie überall auf der Welt müssen diese Maßnahmen auch mit Geld bezahlt werden. Auch für uns, die Best Friends Foundation, gehört es zur Pflicht, einen Hund, den wir für die Ausreise vorbereiten, auf Mittelmeererkrankungen testen, Innen- und Außenparasitenbehandlungen vornehmen und die erforderlichen Impfungen durchführen zu lassen. 

 

Mythos Nummer 3: Die Straßenhunde sind aggressiv und beißen. In all den zehn Jahren in Bulgarien ist uns noch nicht ein einziger aggressiver Straßenhund begegnet! Ein Angriff, egal, welcher Art, kostet immer Energie und Kraft - und beides sichert dem Hund das Überleben auf der Straße! Außerdem besteht bei einem Kampf immer die Möglichkeit, dass man verletzt werden könnte, was gerade für den Straßenhund mit schlimmen Folgen verbunden wäre.

 

Leider werden noch immer viele unschuldige Streuner von den Bewohnern vergiftet, erschlagen oder erschossen usw. Wer oder was könnte also, in einem Land, in dem das Leben eines Hundes zumeist so gut wie nichts wert ist -  einen Bulgaren daran hindern, einen aggressiven Hund nicht sofort zu beseitigen???

 

Dennoch, viele dieser Streuner bringen ganz andere Voraussetzungen mit, als Du es von einem deutschen Haushund gewohnt wärst: Je nachdem, wie lange der Hund auf der Straße leben musste, hat er inzwischen vielleicht gelernt, selbstständig Entscheidungen zu treffen. Er kümmert sich selbst um seine Probleme und entscheidet, mit wem er Kontakt haben möchte - und mit wem nicht. Er hat gelernt, Mülltonnen zu plündern, weil er dort Fressbares finden konnte. Er hat vielleicht gelernt, Männern auszuweichen, vor allem, wenn sie Spazierstöcke mit sich tragen. Vielleicht musste er sogar die Erfahrung machen, dass Kinder liebend gern mit Steinen nach ihm werfen...

 

Im Gegenzug sind ihm die Leine, das Hundegeschirr  und Stubenreinheit vollkommen fremd, ein Staubsauger kann Angstzustände in ihm auslösen und dann erst diese beengenden Räume..... Die Reaktionen eines Hundes können unterschiedlicher nicht sein... vielleicht passt er sich relativ schnell an - vielleicht ist er aber auch zu ängstlich und nervös... so oder so sollte man sich vorher bewusst werden, dass einen neben dem Vierbeiner auch eine Menge Arbeit erwarten kann - nicht muss, aber kann!

 

Wir haben es getan, inzwischen vier Mal bei unseren eigenen ehemaligen Straßen-Hunden und etliche Male bei unseren Pflegehunden - und wir bereuen es nicht für eine einzige Stunde!